Das Paradies Experiment

Der Rumpf des kleinen weissen Raumschiffes pflügte geradewegs durch die leeren Weiten unseres Sonnensystems. Inmitten des unendlichen Universums erschien es wie ein Sandkorn, welches sich aufs Meer hinaus verirrt hatte. Es wäre kaum aufzuspüren gewesen, und dennoch ruhte die Ungewissheit der gesamten Menschheit einzig und allein auf Erfolg oder Misserfolg dieser Mission.

Jim Amundsen blickte schläfrig durch die tief gehaltene Fensterfront des Cockpits hinaus ins Sternenmeer. Schon seit Beginn ihrer Reise prangte der Schwan in dessen Mitte. Deneb war ihr Führer, ihm folgten sie, hinaus in die unendlichen Weiten des Weltalls. Sie waren nun bereits mehrere Monate unterwegs, und noch immer verlief ihre Mission erfolglos. Die Neptunbahn lag bereits hinter ihnen, Uranus, Saturn und Jupiter hatten sie schon vor langer Zeit passiert. An den Abflug vom Weltraumbahnhof Neu Zürich auf Ceres vermochte er sich kaum noch zu erinnern. Umso besser dafür an das, was zuvor auf der Erde geschehen war.

"Sehen Sie, Amundsen, wir vermuten da draussen etwas, das die ganze Menschheit bewegen könnte." Ein einfacher Satz, und schon war seine Aufmerksamkeit geweckt. So was wollte man ihm anvertrauen, einem unbedeutenden Gelegenheitspiraten?

"Wie Sie vielleicht wissen, ist vor kurzem die Raumsonde Kolumbus verlorengegangen." Also dies musste sogar er wissen. Entrüstet zählte er sich, wie zur eigenen Bestätigung, in Gedanken die Namen aller verschollenen Raumsonden auf, beginnend bei der Voyager 2. Über 30 Namen, alle in der Oortschen Wolke verschwunden.

"Es ist unbestritten kein Zufall, dass bisher keine einzige Raumsonde über die Oortsche Wolke hinausgelangt ist." Viele hatten dies bereits vermutet, schliesslich verschwinden nicht ohne weiteres 30 gut überwachte Raumsonden in ein und demselben Raumsektor. Da musste mehr dahinterstecken. Die Tatsache, dass er im SETI-Institut in Neu Cambridge sass, liess ihn einiges vermuten.

"Die Sonden haben uns keinerlei Raumanomalien gezeigt, bis zu dem Moment, in dem der Funkkontakt zu ihnen abbrach." Wie Sherlock Holmes konnte man sich mit der Zeit ausmalen, was übrigbleiben würde, wenn man alles Unmögliche ausschloss. Und mochte es noch so unwahrscheinlich klingen, es würde die Wahrheit sein. Und er sollte sie als Erster erfahren...

"Wir sind der Ansicht, dass es sich nur um den Einfluss einer ausserirdischen Intelligenz handeln kann." Diese Tatsache schlug wie eine Bombe ein. Sein Herzschlag jagte, ihm wurde heiss. Die Ausserirdischen. Schon lange hatte die Menschheit Vermutungen über sie geäussert. Würde man endlich eine der haarsträubenden Theorien bestätigen können?

"Deshalb wollen wir nun eine bemannte Mission losschicken, mit dem Ziel, Kontakt aufzunehmen." Und er, James Amundsen, sollte ihr Kommandant werden. Fünf Tage später bestieg er die Fähre nach Ceres.

Schon bald sah er die hohen Startsilos des Weltraumhafens von Neu Zürich unter sich kleiner werden. Die Hochhäuser der Stadt begannen zu einem Schachbrett zu verschmelzen, die darüberschwebenden Raumschiffchen zu Springern zu werden. Bevor er matt gesetzt würde, wollte er den Asteroiden hinter sich gelassen haben.

Das hatte er. Jupiter sahen sie aus der Ferne, Saturn und Uranus waren jenseits der Sonne. Um Neptun holten sie noch einmal Schwung, und schon waren sie dorthin vorgestossen, wo noch nie jemand zuvor gewesen war.

Mit ihm unterwegs waren ein Astrophysiker, ein Erstkontaktspezialist und ein Pilot. Sechs Monate, so teilte ihm sein Kalender mit, hatten sie bereits zusammen verbracht. Endlose sechs Monate. Noch nie waren Menschen so weit in den Raum vorgestossen. Selbstmörder hatten einfachere Methoden zur Verwirklichung ihrer Ziele, Romantiker ebenfalls. Selbst Verrückte schienen im Vergleich dazu ziemlich vernünftig zu handeln. Einzig Wissenschaftler schienen dies zu lieben.

Sie hatten ans Unmögliche geglaubt. Sie waren bedauernswerte Idealisten. Wenn es so weiterginge wie bisher, würden sie bald tot sein. Ihre einzige Rettung war nur noch eine Zusammenkunft mit Ausserirdischen. Die Alternativen waren alle äusserst unangenehm.

So betrachtete er gedankenverloren Deneb, ihren Führer, und hoffte.

Zwei Tage später schlugen die externen Sensoren Alarm.

Noch bevor irgendeiner von ihnen etwas unternehmen konnte, stach gleissend grelles Licht durch sämtliche Fenster und Luken ins Schiff herein. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte er, ob die Fremden wohl feindlich gesinnt wären. Blind sassen Amundsen und seine Crew da und warteten. Untätig warteten sie ab, auf dass etwas mit ihnen geschehe.

Auf dass jemand Kontakt aufnehme.

So sprachen denn wir.

Wir nennen uns selbst die Omegalpha. Wir waren die Ersten auf dem Weg in die Zukunft, und wir werden die Letzten sein.

Wir waren eine Zivilisation, wie es die Eure zu diesem Zeitpunkt ist. Doch haben wir während unserer Evolution das kosmische Gleichgewicht gestört, es mit Zwietracht, Misstrauen und Krieg aufgewühlt. Im selben Zeitpunkt jedoch erkannten wir, wie die Galaxis in reine Harmonie überführt werden kann. So machten wir uns auf diesen Weg und versuchen nun schon seit einigen Äonen, das Universum mit Harmonie auszufüllen.

Zu diesem Zweck war es allerdings notwendig, potentielle Gefahren so weit als möglich zu eliminieren. Dies ist der Grund, weshalb Euer Sonnensystem noch abgeschottet bleiben muss. Erst wenn alle Terraner bereit sind, ins grosse Kontinuum einzutreten, werdet Ihr befreit.

Doch fürchtet Euch nicht. Die Evolution selbst strebt Perfektion an. So wird auch für Euch eines Tages die Zeit reif genug sein. Doch bis dahin darf kein Terraner von unserer Existenz erfahren. Um unseren Plan nicht zu gefährden, werden wir Euch sämtliche Erinnerungen an diesen Vorfall nehmen. Ihr sollt Euch nur an das erinnern, das für Eure Entwicklung gut ist.

So gehet hin in Frieden.

Wir sind die Omegalpha. Wir sind das Alpha und das Omega. Wir waren die Ersten, und wir werden die Letzten sein...

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